9. Workshop "Archive von unten" pdficon_large.gif

Berlin, 04. und 05. Juni 2015
Im Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin

Inhalt

Plenum: Bewegungsarchive und Bewegungsforschung

Inputs: Ute Hasenöhrl (Universitätsassistentin, Universität Innsbruck, Institut für Geschichtswissenschaft und Europäische Ethnologie), Simon Teune (Institut für Protest- und Bewegungsforschung, Berlin), Moderation: Christoph Becker-Schaum (Archiv Grünes Gedächtnis, Berlin), Protokoll: Dorothea Küttner, Steffi Rönnefarth

Ute Hasenöhrl berichtete von ihren Erfahrungen als Forscherin in unterschiedlichsten Archiven, von Staats- über Eco- und Naturschutzarchiven bis hin zu Sammlungen bei Bürgerinitiativen und Einzelpersonen. Simon Teune berichtete von seinen Forschungen im APO-Archiv der FU-Berlin.

Ihre wichtigsten Erfahrungen mit Bewegungsarchiven:
Da die Erschließung und Zugänglichkeit von Beständen in Bewegungsarchiven sehr unterschiedlich ist, oft fehlen Bestandsübersichten, ist der persönliche Austausch mit den Archivar/innen für einen erfolgreichen Archivaufenthalt wichtig und notwendig. Häufig eröffnen sie unkonventionelle Zugänge und geben Hinweise auf weitere Unterlagen, die bei bloßer Sichtung von Bestandsübersichten gar nicht aufgefallen wären. Oft können die Archivar/innen zudem wichtige Informationen über Herkunft und Kontext der Akten an die Nutzer/innen weitergeben.

Wünsche an Bewegungsarchive:
Wünschenswert ist ein intensiverer Austausch von Aktenlieferant/innen, Aktennutzer/innen und Archiven. Findet ein/e Forscher/in z.B. in einem privaten Fundus Materialien, die sich zur Archivierung eignen, wäre es sehr hilfreich, eine Verbindung zu einem passenden Archiv herstellen zu können. Privatpersonen sollten ermutigt werden, ihre Dokumentationen Archiven anzubieten, die ihrerseits bei der Suche nach einem passenden Abnehmer helfen könnten. Kurzum die Vernetzung zwischen Forscher/innen und Bewegungsarchiven sollte verstärkt werden. Aus Forscher/innenperspektive hat eine möglichst aktuelle, umfassende, bekannte und leicht zugängliche Liste von Bewegungsarchiven und ihren Beständen Priorität. Sie würde die Arbeit erleichtern und Bewegungs- und Protestforschung deutlich befördern.

Erfahrungen mit Protest- und Bewegungsforscher/innen:
Das Nutzer/innenverhalten hat sich verändert. Die Zahl der Nutzer/innen, die einzelne Dokumente suchen, nimmt ab, da Vieles online zu finden ist. Es fällt auf, dass Nutzer/innen zunehmend höhere akademische Qualifikationen haben, ganz gezielt forschen und länger in Archiven arbeiten.

Seitenanfang

Plenum: Digitales Archiv und digitale Dokumente

Inputs: Archiv Soziale Bewegungen in Baden (Freiburg), Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum (Berlin), Archiv der Jugendkulturen (Berlin), Moderation: Dagmar Nolde (FFBIZ, Berlin), Protokoll: Robert Camp

Verschiedene Digitalisierungsprojekte, z.B. von Zeitschriften, Flugblättern und anderen Archivalien, auch audiovisuellen Materialien und Websites wurden vorgestellt.

Michael Koltan vom Archiv soziale Bewegungen in Baden stellte die dortige Arbeitsweise vor. Digitalisiert wird seit Ende der neunziger Jahre, zunächst vor allem zur fortlaufenden Produktion einer Chronologie, die auf CD-ROM und via Internet publiziert wird. Hinzu kommen thematisch aufbereitete CD-ROM mit Materialien zur Protestgeschichte. Derzeitiger Schwerpunkt ist die Digitalisierung von Zeitschriftenjahrgängen einer Freiburger Stadtteilzeitung. Die Digitalisierungsrichtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft werden angewandt.

Die Daten werden im hauseigenen Datenbanksystem Alexandria bereitgestellt. Michael stellte die verwendete Hardware und Software vor: Scannertypen, Datei- und Speicherformate, Schrifterkennung und Fragen der Verwertungsrechte. Hinsichtlich Speicherkapazität und Langzeitsicherung werden derzeit auch Cloud-Lösungen erwogen.

Patrick Schwarz stellte die Digitalisierungsprojekte des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums Berlin vor. In Kooperation mit anderen Einrichtungen werden Bücher, Broschüren, Flyer, Zeitschriften, Publikationen, Fotos, Videomitschnitte, Audiomaterial aus der rechten Szene digitalisiert. Er informierte über die verwendete Software, Speicherformate, Speicherkapazitäten und das Ordnungsprinzip der Dateiablagen und Verzeichnisstruktur. Wie in Freiburg erfolgt bei der OCR-Schrifterkennung keine Nachbearbeitung. Bei der Spiegelung von Websites wird – mit insgesamt guten Erfahrungen – die freie Software HTTrack verwendet. Die Auswahl bzw. Abgrenzung der gespeicherten Inhalte orientiert sich an den inhaltlichen Schwerpunkten des apabiz in der Bildungsarbeit und den ohnehin stattfindenden Recherchen zu Entwicklungen in der rechtsextremen politischen Szene.

Gabi Rohmann vom Archiv der Jugendkulturen Berlin erläuterte das derzeit laufendes Projekt der Konzeption eines Social Media Research Archivs und die Entwicklung einer open source- Software in Kooperation mit einer Software-Firma. Ziel des Projektes ist die direkte Übernahme von Inhalten aus Recherchen in den sozialen Netzwerken (Blogs, Facebook, Youtube etc). Ein Plug-In für den Firefox-Browser und Tools mit Rechercheoptionen sind in Entwicklung. Wie im apabiz richten sich die Leitfragen für die inhaltliche Auswahl bei Recherchen nach dem laufenden Monitoring und der Bildungsarbeit. Derzeitiger Schwerpunkt sind rechte und rechtsextreme Jugendszenen. Zugang und Nutzung der gespeicherten Inhalte wird aus Gründen des Persönlichkeitsrechtes nur im Archiv und nicht online möglich sein.

Ergänzungen aus dem Plenum:
In den künftigen Workshops sollte eine Reihe „Werkstattberichte digitales Archiv und digitale Dokumente“ fester Bestandteil sein.

Seitenanfang

Plenum: Politisches Selbstverständnis und Zukunft des Workshops

Moderation: Jürgen Bacia (Archiv für alternatives Schrifttum, Duisburg), Protokoll: Christoph Becker-Schaum, Anne Vechtel

In diesem Jahr fand bereits der 9. Workshop des Netzwerks der Archive von unten statt. Als Grundlage für eine Zwischenbilanz der bisherigen Arbeit lag ein Papier von Jürgen Bacia vor, das folgende Fragen formulierte: Welche archivfachlichen Themen sind relevant? Welche Position vertretet ihr in Bezug auf die Außendarstellung und Außenwahrnehmung der Freien Archive? Welches politische Selbstverständnis sollte der Workshop haben? Wie sollte es weitergehen?

Inputs zu diesen Themenkomplexen kamen von:

Archiv Soziale Bewegungen (Hamburg): Die Archivar/innen gehen alle einer Lohnarbeit nach. Ihre Möglichkeiten, an einem überregionalen Austausch teilzunehmen, sind deshalb begrenzt. Sie verstehen ihre Archivarbeit als politische Arbeit und sind im wesentlichen an einem politischen Austausch interessiert. Dabei ist der persönliche Kontakt und Austausch durch nichts zu ersetzen.

Gorleben Archiv (Lüchow): Im Archiv müssen wegen hoher Arbeitsbelastung Prioritäten gesetzt werden. Eine Intensivierung des themenspezifischen und archivfachlichen Austausches in Arbeitsgruppen ist deshalb wichtig und sinnvoll. Der politische Austausch steht nicht im Vordergrund.

Frauenforschungs-, bildungs- und -informationszentrum (Berlin): Die Bedeutung des Netzwerks der Bewegungsarchive für den fachlichen Austausch ist für kleine, oft nicht so finanzkräftige und größere Archive aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen sehr verschieden. Aufbau und Scheitern der AG Digitalisierung ist ein Beispiel dafür.

Archiv der Robert Havemann-Gesellschaft (Berlin): Im Havemann-Archiv sind alle Mitarbeiter/innen Quereinsteiger/innen. Das Wichtigste war und ist also der archivfachliche Austausch. Die Handreichung zur Archivierung von Unterlagen der Neuen Sozialen Bewegungen (hrsg. v. Netzwerk der Bewegungsarchive, Juli 2004) als Teil des Lernens war und ist wichtig. Die anfänglichen Hoffnungen, vom Netzwerk Unterstützung in Finanzierungsfragen zu bekommen, konnten nicht erfüllt werden. Die 7 Mitarbeiter/innen des Archivs werden aus Projektmitteln finanziert. Lobbying in Sachen Mitteleinwerbung ist sehr wichtig, wird aber außerhalb des Netzwerks betrieben. Digitalisierungsprojekte finden in Zusammenarbeit mit anderen Aufarbeitungsarchiven statt. Da Projektarbeit grundsätzlich anders bestimmt ist, beschränkt sich der Wert des Netzwerks auf den fachlichen Austausch.

Institut für angewandte Kulturforschung (Göttingen): Mehr Lobbying für Archive von unten ist wichtig und zwar über den Fachaustausch hinaus. Der fachliche Austausch sollte über AGs organisiert und intensiviert werden. Die Internetseite müsste ausgebaut und so für das Lobbying nutzbar gemacht werden.

Ergänzungen zu den Inputs aus dem Plenum:

Archiv soziale Bewegungen Baden; FFBIZ: Erwartungen und Bedeutung des Netzwerks hat sich verschoben. In den Anfängen gab es die große Hoffnung, Unterstützung in Finanzierungsfragen bekommen zu können. Dies ist mehr oder minder gescheitert. Dafür hat der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit in fachlichen Fragen und bei kleineren Projekten an Bedeutung gewonnen.

Archiv der Deutschen Frauenbewegung, Kassel: Gemeinsame Projekte des Netzwerks (Handreichung, Website, Projekte der AG-Digitalisierung) müssen realistisch geplant werden, d.h. auf die Kapazitäten/Beteiligungsmöglichkeiten der Archive zugeschnitten, weil ihr Scheitern sonst vorprogrammiert ist. Dies gilt besonders für die angedachte Aktualisierung der Handreichung um die seit 2005 diskutierten Digitalisierungsthemen.

Umbruch Bildarchiv, Berlin: Gründe, warum weniger Bewegungsarchive zu den Netzwerk- Workshops kommen, liegen wahrscheinlich darin, dass sich diese Archive auf ihre politischen Zusammenhänge konzentrieren. Dabei übersehen und unterschätzen sie die Chancen, die im guten fachlichen und auch politischen Austausch mit den Kolleg/innen der Archive anderer Sparten und Szenen liegen. Die linke Szene ist leider nicht so geschichtsbewusst.

Thüringer Archiv für Zeitgeschichte, Jena: Der Wert des Archive-von-unten-Netzwerks liegt darin, dass es ein lockeres Netz ist und gleichzeitig verbindliche Absprachen zu gemeinsamen Projekten getroffen werden können.

Robert Havemann-Archiv: Die jeweiligen Szenezusammenhänge sind bedeutend. Über den Tellerrand der eigenen Szenen hinauszuschauen und in weiteren politischen und fachlichen Zusammenhängen zu arbeiten, ist aber für die Professionalisierung der eigenen Arbeit relevant.

Frage an das Plenum: Welche Bedeutung hat die Außendarstellung eurer Arbeit für euch?

Archiv soziale Bewegungen, Hamburg; Umbruch Bildarchiv, Berlin: Die eigentliche Zielgruppe der Archivarbeit sind politisch Aktive. Priorität hat somit nicht die historische Überlieferungsbildung und die Zusammenarbeit mit Forschung etc., sondern die Bereitstellung von Dokumenten für die politische Arbeit. Aus politischen Gründen wird keine Zusammenarbeit mit etablierten Einrichtungen gesucht.

Thüringer Archiv für Zeitgeschichte: Die Zusammenarbeit mit etablierten Einrichtungen ist wichtig, wobei zwischen politischen und archivfachlichen Fragen getrennt wird. Die Zusammenarbeit in der eigenen politischen Szene und im Netzwerk der Bewegungsarchive ist dabei als Korrektiv zur Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen von großem Wert.

Archiv der Deutschen Frauenbewegung, Kassel; Schwules Museum, Berlin: Die Formulierung eines gemeinsamen politischen Selbstverständnisses des Netzwerks Archivevon- unten ist nicht notwendig. Es reicht aus, wenn der Workshop anlassbezogen politisches Lobbying betreibt und Stellung bezieht.

Archiv der Jugendkulturen, Berlin: Es ist aber wichtig, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass die eigene Arbeit (Organisation, Arbeitsverhältnisse) politisch ist. Die Diskussion über prekäre Arbeit in Bewegungsarchiven muss geführt und nach außen publik gemacht werden. Diese Diskussion könnte in Zusammenarbeit mit der Bewegungsstiftung und der Stiftung Umverteilen geführt werden.

Archiv soziale Bewegungen Baden: Die wichtigste Aufgabe und Funktion des Netzwerks der Bewegungsarchive ist das archivfachliche Networking.

Frage an das Plenum: Wie weiter mit dem Workshop?

Mit leicht unterschiedlichen Begründungen halten alle anwesenden Archive die Weiterarbeit im Netzwerk der Bewegungsarchive und v.a. den Workshop für sinnvoll und wichtig.

Seitenanfang

Abschlussplenum

Moderation: Anne Vechtel (Archiv Grünes Gedächtnis, Berlin), Protokoll: Eva Sander (Archiv Grünes Gedächtnis, Berlin)

Bericht zur Arbeit des AK NSB im VdA:
Jürgen Bacia (Archiv für alternatives Schrifttum, Duisburg) berichtete von der Arbeit des Arbeitskreises zu den Überlieferungen Neuer Sozialer Bewegungen im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, AK NSB im VdA. Zur Zeit wird ein Positionspapier zur Bedeutung der Bestände, der archivischen Arbeit in Bewegungsarchiven und den Perspektiven der Sicherung und Finanzierung dieser Arbeit geschrieben. Dieses Paper soll Ende des Jahres fertig sein und wird danach hoffentlich als offizielles Positionspapier des VdA in den einschlägigen Publikationen veröffentlicht und für das Lobbying eingesetzt. An der Arbeit des AK NSB sind leider nur wenige Kolleg/innen aus Bewegungsarchiven beteiligt. Ihre Arbeit wird vom Workshop anerkannt und unterstützt, allerdings wollen oder können zur Zeit keine weiteren freien Archive in diese Arbeit einsteigen (Überlastung, Zeit und Geldmangel).

Der nächste Workshop:

Der nächste Workshop wird am 26./27.5.2016 im Archiv der Jugendkulturen in Berlin stattfinden.

Vorbereitungsgruppe: Archiv der Jugendkulturen (Berlin), FFBIZ (Berlin), afas (Duisburg), AGG (Berlin)

Bisherige Themenvorschläge: Fortsetzung des Themas Digitales Archiv/digitale Dokumente, Generationenwechsel, Arbeitsbedingungen in Bewegungsarchiven, Vernetzung über Bestände, Archivgesetze, Archivbesichtigung

Seitenanfang