14. Workshop "Archive von unten" pdficon_large.gif

Berlin, Prinzessinnengärten, 19. August 2021
Protokoll: Conny, Lisa, Rebecca.

Inhalt

1. Begrüßung

Jürgen Bacia begrüßt im Namen der Vorbereitungsgruppe. Es geht eine Anwesenheitsliste rum, wegen Corona-Kontaktverfolgung.

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2. Archive in der Pandemie:

Plenumsrunde zu den Fragen:

Wie habt Ihr die Pandemie überstanden, was habt Ihr gemacht?

Konsequenzen aus der Pandemie. Wie geht es bei Euch weiter?

Was sind Eure drängendsten Fragen / Probleme?

• Archiv der Jugendkulturen (Daniel, Patrick)
Es war keine Archivnutzung möglich, dadurch konnte aber der Umzug zügig erledigt werden. Die neuen Räume auf demselben Gelände sind sehr gut, endlich gibt es ein richtiges Magazin. Allerdings läuft das Archivprojekt Ende August aus, es gibt bislang keine Folgefinanzierung. Über Bildungsprojekte ist die Mietzahlung noch bis Ende März 2021 gesichert. Es gibt eine neue Broschüre über das AdJ, mehr als 2.000 Titel wurden in die ZDB eingegeben.

• Schwules Museum und Archiv (Christine)
Es gab wenig Nutzung, lediglich Kopienversand. Über Projektmittel konnte ein wichtiger Fotobestand erfasst und digitalisiert werden. Es fehlt immer noch die Dauerfinanzierung der Erfassung.

• Archive der DDR-Opposition / Robert-Havemann-Gesellschaft (Rebecca, Christoph, Christine)
Nutzung vor Ort ist nicht möglich, es ist aber bereits viel digitalisiert, so können Nutzer*nnen dennoch gut bedient werden. Es gab Homeoffice, das teilweise dauerhaft beibehalten wird. Der Magazinraum wird knapp, es gibt noch 1500 unbearbeitete Umzugskisten und laufend weitere Zugänge. Durch die Bund-/Länderfinanzierung sind in vielen Bereichen die eigenen Entscheidungen eingeschränkt worden. Es gibt u.a. Vorgaben bei der Stellenbesetzung, beim Erschließungsumfang und bei den Veranstaltungen.

• Alice-Salomon-Archiv (Filiz, Friederike)
Die Nutzung war sehr eingeschränkt. Da hochschulintern alle Treffen digital stattfanden, war das ASA mehr als zuvor in hochschulinterne Abläufe eingebunden. Die Hochschule expandiert zur Zeit und wird teilweise neu organisiert, das bringt auch für das ASA Stress. Es läuft ein Digitalisierungsprojekt, evtl. nächstes Jahr ein weiteres. Der Platz wird knapp, ein neues Magazin liegt aber in weiter Ferne.

• Archiv Deutsches Atomerbe (Konstanze)
Das Archiv wurde erst 2018 gegründet, die Pandemiezeit wurde zum Aufbau von Strukturen und zum Einrichten einer Datenbank genutzt, dafür gab es eine bezahlte Stelle, ebenso Sach- und Personalkosten für ein Digitalisierungsprojekt. Das Problem ist, Räume und Personal langfristig abzusichern.

• Spinnboden Lesbenarchiv & Bibliothek (Lara)
Es gab personelle Veränderungen: im Spinnboden arbeiten jetzt Katja und Lara Teilzeitstellen. Die Coronazeit mit begrenzter Nutzung wurde zum Aufräumen genutzt und zur Bearbeitung des Vorlasses von Ilse Kokula. Zurzeit werden Diskussionen zur politischen Positionierung geführt. Die Räume sind zu klein; Spinnboden sucht gemeinsam mit dem FFBIZ und der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft einen neuen Standort.

• Archiv der TU Berlin (Anne)
Das Archiv hat nichts mit dem Workshop zu tun, aber Anne interessiert sich für Freie Archive.

• Archiv des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg (Olaf)
Das Archiv zum Freidenker-Verband und freigeistigen Bewegungen ist nach Eichwalde umgezogen, konnte aber wegen Corona bisher nicht neu eröffnet werden, die Zeit wurde zur Einrichtung, Erfassung, Überarbeitung der Website genutzt.

• Digitales Deutsches Frauenarchiv (Katrin)
Es gab im letzten Jahr eine Urheberrechtsreform, in die auch die in unseren Kreisen erarbeitete Stellungnahme Eingang fand. Sobald für diese Reform auch die Infrastruktur geschaffen ist, wird die Rechtsbroschüre des DDF aktualisiert. Katrin bietet nochmal ihre Zusammenarbeit in Rechtsfragen an.

• Archiv der Arbeiterjugendbewegung (Wolfgang)
Der Betrieb wurde mit Wechselschichten aufrechterhalten. Es gab viele Neuzugänge, weil alle Leute Zeit zum Aufräumen hatten. Die jährliche Tagung fand digital statt, die Zeitschrift und eine pädagogische Handreichung liegen gedruckt vor.

• Archiv Soziale Bewegungen Wien (Torsten)
Die Pandemie wurde zur Renovierung genutzt. Das Archiv wird weiterhin durch Einzelspenden finanziert.

• Apo-Archiv der FU Berlin (Ulrike)
Während der Pandemie Homeoffice und keine Nutzung; sehr viel neu abgegebenes Material.

• Archiv für alternatives Schrifttum (Anne, Jürgen, Bernd, Conny)
Mit dem 3-Jahres-Projekt sind Miete und Stellen bis Ende 2022 gesichert. Es wird erschlossen, digitalisiert und Zeitschriften in die ZDB eingegeben. In der Leitung fand der Wechsel von Jürgen zu Anne und Bernd statt. Das afas übernimmt weiterhin gefährdete Archive, demnächst das des IZ3W in Freiburg, ca. 500 Umzugskartons.

• Bibliothek für Zeitgeschichte (Beate)
Beate hat just zu Pandemiebeginn angefangen, dort zu arbeiten. Besonders die nur grob geordneten Flugblätter sollen in Zukunft besser erschlossen werden.

• Papiertiger (Punx, Konrad)
Corona hat sich im Papiertiger kaum bemerkbar gemacht, da Nutzung nur noch nach Voranmeldung möglich ist. Durch die Mitarbeit von Konrad hat sich der Personalstand verdoppelt.

• Archiv Soziale Bewegungen Freiburg (Michael)
Michael hat die Nachfolge von Volkmar angetreten. Während Corona keine Laufkundschaft, aber viel Digitalisierung und dadurch gute Einnahmen. Für das geplante Projekt zur Nutzung künstlicher Intelligenz bei der Verschlagwortung konnte keine Finanzierung gefunden werden. Auch die Verhandlungen mit dem Land Baden-Württemberg über eine zweite Stelle liegen auf Eis. Es gibt eine Frauengruppe, die den Altbestand des Feministischen Archivs neu bearbeitet.

• Umbruch Bildarchiv (Hermann, Monika)
Wegen Corona musste das monatliche Fotografentreffen ausfallen. Das Haus wird demnächst in eine Genossenschaft umgewandelt, was dem Archiv zwar mehr Sicherheit, aber keine geringere Miete einbringt. Was durch die Genossenschaft an veränderten Bedingungen ansteht, ist noch unklar. Es ist ein komplizierter und auch zermürbender Prozess. Durch die erfolgreiche Spendenaktion im letzten Herbst konnte aber immerhin ein gutes finanzielles Polster geschaffen werden.

Hermann bringt die Information ein, dass in der StaBi demnächst 5 – 7 Scanner günstig abzugeben sind, die vielleicht zur gemeinsamen Nutzung von den Freien Archiven erworben werden können. Er recherchiert Genaueres und gibt die Info dann rum.

• Gorleben Archiv (Gabi)
Einerseits brachte Corona eine willkommene Atempause, andererseits sind dadurch Finanzierungen weggebrochen, weil Bildungs- und Ausstellungsprojekte nicht stattfinden konnten.

• Hans-Litten-Archiv / Rote Hilfe (Günther konnte nicht kommen, Jürgen überbringt Infos)
Es gibt nach wie vor in der Roten Hilfe eine starke Fraktion, die die Aufbewahrung der Antragsakten verhindern will und „gegen linke Neugier“ für „das Recht auf Vergessen“ plädiert. Es geht um die Unterlagen, wer wann bei der Roten Hilfe Prozessunterstützung beantragt hat. Trotz intensiver Argumentation für die Bewahrung der eigenen Geschichte steht zu befürchten, dass bei der Bundesdelegiertenversammlung im September der Beschluss zum Schreddern gefasst wird.

• KOBIB Kommentierte Bibliographie zur kritischen Geschichte (Lars)
War im Homeoffice und hat die Zeit genutzt, um die Website neu aufzusetzen.

• Hamburger Institut für Sozialforschung (Svenja)
Svenja hat die Nachfolge von Reinhart mitten in der Pandemie angetreten und musste als erstes die Infrastruktur für Homeoffice schaffen. Zwischenzeitlich wurden zwei Stellen entfristet und der Platz in den Magazinen wird knapp. Ein Archivblog wurde eingerichtet: (https://sozwissarchiv.de/) Zurzeit befasst sich Svenja viel mit der Frage der Archivierung von Webseiten und prüft die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der DNB.

• Kollektivbibliothek New York Bethanien (André und drei Kolleginnen)
ist eine bilinguale Bibliothek, in der Bücher, Zeitschriften, Plakate, Flyer, Transparente und Sticker aus der Bewegung gesammelt werden. Erste Bücher wurden digitalisiert und zurzeit wird die Homepage überarbeitet. Es ist eine lose Gruppe ohne Finanzierung, eine Vereinsgründung wird erwogen.

• FFBIZ – Das feministische Archiv (Dagmar, Lisa)
hatte mal auf, mal zu, war wie viele nicht auf Homeoffice vorbereitet. Die Zeit mit weniger Publikumsverkehr wurde zur Neuauflegung der Webseite genutzt. Das FFBIZ hat massive Platzprobleme und sucht dringend, zusammen mit dem Spinnboden Lesbenarchiv und der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft neue Räume.

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3. Diskussion

Die Pandemie hat dazu geführt, dass die Erwartung, alle Bestände müssten digital und online zur Verfügung stehen, größer wurde. Nutzer*innen mussten oft dazu erzogen werden, sich anzumelden und ggf. auch abzusagen, damit andere auf die wenigen Plätze nachrücken konnten. Die Bereitstellung von Digitalisaten wurde sehr unterschiedlich gehandhabt. Um die Archive rechtlich nicht angreifbar zu machen, sollte auf jeden Fall der Vermerk „nur zum persönlichen Gebrauch“ draufstehen oder schriftlich vereinbart werden, dass die Nutzer*innen die Rechte selber klären und die Digitalisate nicht an Dritte weitergeben dürfen.

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4. Arbeitsgruppen

**AG 1: Archivierung von Webseiten und Social Media

Anwesend: Anne, Beata, Monika, Svenja, Constanze und Rebecca

  • Bewegungsarchive befassen sich mit Bewegungen; grade diese nutzen oft Facebook, Twitter u. a. -> Notwendigkeit der Archivierung ist erkannt
  • Es gibt vereinzelt Archive, die Webseitenarchivierung durchführen, u.a. an der TU Berlin
  • Verbünde zur Landzeitarchivierung gibt es, wie z. B. DIMAG, stehen aber nicht für die freien Archive zur Verfügung
  • Wie kann man die Webseitenarchivierung umsetzten?
  1. Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek

    • Man kann eine Liste der zu archivierenden Webseiten zusammenstellen und diese der Nationalbibliothek abgeben, diese wird dann archiviert
    • Vorteil: Sicherung der Webseiten, Nachteil: die archivierten Seiten sind nur an den Standorten der Deutschen Nationalbibliothek einzusehen
  2. Webseitenarchivierung im Verbund (Verbund von freien Archiven) in Kooperation eines Dienstleisters, z. B. Startex

    • Ist denn aber Webseitenarchivierung für freie Archive überhaupt ein Thema? Andere archivspezifische Themen sind wahrscheinlich erstmal in der Priorität vorrangig, z. B. Erstaufnahme von Archivgut, ein Archivierungsprogramm, Sicherung der Miete und Bezahlung von Personal
    • Wichtigkeit ist wohl den Archiven bewusst, allerdings braucht man finanzielle und personelle Ressourcen um eine Verbundlösung umzusetzen und diese sind meist nicht vorhanden

Eine Umsetzung von Webseitenarchivierung wäre wünschenswert, ist aber im Moment nicht realistisch umsetzbar. Weder Personal noch finanzielle Mittel stehen den freien Archiven dafür zur Verfügung. Eine Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek scheint wenig verlockend, da man nur Vorschläge zur Webseitenarchivierung geben kann. Ob diese dann auch umgesetzt werden ist fraglich. Auch die Tatsache, dass die archivierten Webseiten nur an den Standorten der Deutschen Nationalbibliothek einsehbar sind, also faktisch den Archiven selbst zur Einsicht nicht zur Verfügung stehen, lässt diese Lösung nicht besonders attraktiv erscheinen. Außerdem benötigt man die Zustimmung der Bewegungen für die Archivierung in der Deutschen Nationalbibliothek. Ob diese gegeben wäre ist auch noch zu klären

*AG 2: Nutzerinnen digital betreuen

(kein Protokoll)

**AG 3: Mehr über die Kollektivbibliothek New York Bethanien

  • Gegründet im damals besetzen Haus in der Brunnenstraße 7 (heute Hausprojekt)

  • Als der Südflügel des Bethanien besetzt wurde (2004/5), ist die Bibliothek dorthin umgezogen

  • Im Bestand sind hauptsächlich Bücher, Poster und Zeitungen, aber Sticker oder auch Demo-Banner

  • Inhaltlich geht es um linke soziale Bewegungen (Anti-AKW, Hausbesetzungen, Feminismus, Queere Themen..), antikoloniale Perspektiven, migrantische Perspektiven (z.B. zu Oranienplatz, International Women’s Space..) spezialisiert auf Hausbesetzungen ab den 1990er Jahren (Ziel: Jedes Buch über Hausbesetzungen)

  • Viele Quellen direkt aus den Bewegungen

  • Multilinguale Bibliothek (Spanisch, Türkisch, Kurdisch, Griechisch, Katalan, Deutsch, Englisch…) –> alle Kategorien sind auch übersetzt

  • Ankäufe finanziert das Team oft privat

  • 15-20.000 Poster (fast alle linken Plakate in Berlin)

  • Aktuelles Ziel ist es, neue Räume zu finden, weil der Raum im Bethanien eigentlich ein Wohnraum ist, klein und schwer zugänglich, was die Nutzung schwierig macht.

  • Bisher hauptsächlich Arbeit mit Papierlisten, Bücher sind nach Themen und Sprachen organisiert

  • Es gibt eine internationale Vernetzung mit anderen Archiven

    Gedanken zum Aufbau einer Datenbank:

  • Welcher Thesaurus wäre geeignet für die Kollektivbibliothek? -> Wikidata (ist schon mehrsprachig) -> Homosaurus als Alternative für queere Themen -> GND (Deutsche Nationalbibliothek) -> Thesaurus vom FrauenMediaTurm als mögliche Grundlage für feministische Themen -> Chronologisches Herangehen ist zwar pragmatisch, aber erschwert den Austausch mit anderen Archiven

  • Grundlegend zum Workshop: Austausch darüber, dass der Workshop/die Gruppe der Archive von unten auch Archive zu Migration, Schwarzer Geschichte und auch Roma/Sinti-Geschichte einschließen sollte. Vor dem nächsten Workshop sollte nochmal gezielt darüber nachgedacht werden, welche Archive konkret angesprochen werden können!

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5. Abschlussplenum

• AK Überlieferung der Neuen Sozialen Bewegungen im VdA (Verband Deutscher Archivarinnen und Archivare) Der AK NSB hat im März 2020 zum letzten Mal getagt, dann fiel er der Pandemie zum Opfer. Das nächste Treffen ist für den 24. November 2021 geplant. Da einige Neue beim Workshop sind, die wenig über den AK NSB wissen, wird diesem Protokoll ein pdf des 2016 von ihm erarbeiteten Positionspapiers angehängt. Es steht auch unter: (https://www.vda.archiv.net/arbeitskreise/ueberlieferungen-der-neuen-sozialen-bewegungen-1.html)

• Der Workshop der Archive von unten soll im nächsten Jahr am 16. und 17. Juni stattfinden. Ob das eigentlich für letztes Jahr angedachte Open-Space-Format angewandt wird, entscheiden wir, wenn die Pandemielage absehbar ist. Davon hängt auch ab, an welchem Ort wir uns treffen können. Michael schlägt vor, eine*n kompetente*n Referent*in zum dann in Kraft getretenen neuen Urheberrecht einzuladen. Daniel ruft dazu auf, den Workshop bekannter zu machen und weitere Archive für die Teilnahme anzusprechen. Die Kollektivbibliothek New York Bethanien wünscht sich eine englische Simultanübersetzung. Vorbereitungsgruppe wie bisher, d.h. Daniel, Jürgen, Dagmar, Lisa, Filiz, Conny plus neu dazu André.

Jürgen weist darauf hin, dass wir im Jahr 2023 20 Jahre Workshop der Archive von unten feiern können und uns dafür vielleicht was Besonderes einfallen lassen sollten.