13. Workshop "Archive von unten" 
- und 22. Juni 2019
Im Archiv der Jugendkulturen e.V. in Berlin
Inhalt
- AG 1: Umgang mit Grauer Literatur
- AG 2: Handling und Erfassen von Objekten
- AG 3: Politisches Selbstverständnis der Archive
- AG 4: Digitalísierung
- Abschlussrunde
AG1: Umgang mit Grauer Literatur
Inputs: Graue Literatur - Cornelia Wenzel (Archiv der deutschen Frauenbewegung), Samisdat - Rebecca Hernandez-Garcia (Archiv der DDR-Opposition), Fanzines - Daniel Schneider (Archiv der Jugendkulturen)
Moderation: Reinhart Schwarz (Hamburger Institut für Sozialforschung)
Protokoll: Rekonstruiert durch Aufzeichnungen von Reinhard Schwarz / Daniel Schneider
Einführung Reinhart Schwarz: Definition von Grauer Literatur: keine ISBN oder ISSN, keine Periodika, meist Eigenverlage oder von Körperschaften herausgegeben (nicht in regulären Verlagen erschienen). Problemstellung: wie kann mit Grauer Literatur umgegangen werden? Insbesondere in Bezug auf die Systematisierung, Erfassung / Titelaufnahme, Digitalisierung und anschließender Online-Präsentation (Urheberrecht & Persönlichkeitsrechte) kann es Schwierigkeiten geben.
Input 1: Cornelia Wenzel (AddF):
Graue Literatur im AddF sind v.a. ältere Schriften (frühes 20. Jh.), z. B. Kongressberichte, Kalender & Jahrbücher, Flugblätter, Leporellos, tw. auch (kleine) Zeitschriften.
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wird als Bibliotheksgut behandelt, tw. in Mappen in der Bibliothek gelagert
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in FAUST erfasst, Verschlagwortung nach Mediengattung
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vieles wurde schon digitalisiert, da die Materialien schon alt genug sind und daher keine rechtlichen Probleme bestehen. -> DDF
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Zeitschriften werden tw. in der ZDB verzeichnet.
Input 2: Rebecca Hernandez-Garcia (AdDO):
Samisdat (in der DDR illegal gedruckte Schriften), vor allem Untergrundzeitschriften & Broschüren, aber auch Flugblätter, Aufrufe und andere illegalen Drucksachen. Es gibt politische Sam. & künstlerische Sam., sie entstanden vor allem in den 1980er Jahren. Vorhanden vor allem in Nachlässen (im Bestand der Umweltbibliothek) In der DDR war es schwer, nicht vom Staat kontrolliertes Material zu drucken, allgemein wenige Möglichkeiten zu drucken, Papierverbrauchskontrolle. Die Stasi hat Samisdat beschlagnahmt, sie hat auch Samisdat gefälscht.
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Samisdat werden in Augias erschlossen, es gibt eine spezielle Eingabemaske
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die Materialien sind fragil (sowohl das Papier als auch der Druck), es werden nur Lesekopien herausgegeben, Digitalisierung wichtig
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tw. sind beschlagnahmte Samisdat nur in der BStUzu finden, schwer zugänglich & nicht erschlossen. Können nur auf persönlichen Antrag der Urheber*innen zurückgegeben werden (um dann evtl einem anderen Archiv übergeben zu werden, das die Materialien erschließen kann).
Input 3: Daniel Schneider (AdJ):
Fanzines (Fan-Magazine), in den 1930er Jahren entstanden (Science-Fiction-Fanszene in den USA), in der Sammlung des AdJ gibt es Fanzines ab den 1950er Jahren. Sind meist nur in den entsprechenden Szenen im Umlauf, kommen meist nicht in den regulären Zeitschriften- oder Buchhandel, sondern sind in speziellen Szeneläden, über spezielle Distros (Vertriebe) oder bei Zine-Festen und anderen Szeneevents erhältlich. Oszillieren als Mediengattung zwischen Zeitschriften (Bibliotheksgut), Einzelstücken (Archivgut) und Objekten (Museumsgut) -> schwer zu definieren, was Fanzines genau sind. Fanzines als Gegenöffentlichkeit zu Mainstreammedien.
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Aktives Sammeln von Fanzines (bzw. Zines), z.B. durch Ankäufe bei Zine-Festen
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Erfassung in Datenbank entweder als Zeitschriften (Periodika) oder als Broschüren bei Einzelheften ohne fortlaufende Nummerierung, Verschlagwortung als Fanzine oder Zine
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Bei Erfassung werden Namen in einem nicht öffentlich einsehbarem Feld eingegeben (Schutz der Persönlichkeitsrechte)
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Schwierigkeiten bei der Erfassung (z.B. aufgrund chaotischer Nummerierung, unklarem Titel etc.)
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Im Projekt UnBoxing wurde ein Digitalisierungskonzept für Fanzines entwickelt, das solche Schwierigkeiten berücksichtigt, in dem es auch um die Materialität der Fanzines geht, ethische & rechtliche Fragen eine große Rolle spielen
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Geplant ist die Verzeichnung von Fanzines in der ZDB
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Archivierung -> im Augenblick werden Fanzines mit den beigelegten Objekten zusammen aufbewahrt, perspektivisch müssen diese getrennt gelagert werden Diskussion:
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Sammlungsprofil -> was wird gesammelt (z.B. auch alle Flyer aus einem bestimmten Kontext), großer Aufwand, Unterschied zwischen aktivem und passivem Sammeln.
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Begriff „Graue Literatur“ wird in vielen Archiven nicht genutzt.
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Keine einheitlichen Lösungen, je nach Art der „Grauen Literatur“ und den Möglichkeiten der Archive ist der Umgang unterschiedlich.
AG2: Handling und Erfassen von Objekten
Inputs: Archivierung von Textilien – Melanie Nagel (Archiv der Jugendkulturen), Archivierung von Objekten – Kristine Schmidt (Schwules Museum) Moderation: Lisa Schug (Archiv der Jugendkulturen) Protokoll: Simon Vennebusch (Archiv der Sozialen Bewegungen HH)
Problemstellung: In vielen unserer Archive finden sich mit der Zeit auch Objekte ein, die nicht Schriftgut sind. Alle Archive stehen hier vor Problemen, da die Lagerung und Verzeichnung sich von den gewohnten Materialien (Textdokumente, audiovisuelle Dokumente) unterscheidet. Eine Anfangsumfrage ergab, dass in den im Workshop vertretenen Archiven Fragen der Aufbewahrung prioritär sind, Fragen der fachgerechten Konservierung und der Verzeichnung stellen sich für die meisten (noch) gar nicht.
Aufstellung der Materialien, die sich in beim Workshop vertretenen Archiven finden:
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Buttons
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Banner, Transparente
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T-Shirts
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Aufnäher
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Stelltafeln mit Ausstellungen (Kork oder Metall)
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Kleidungsstücke, Regencapes, Schirme, Plastikumhänge, Talare (FU-Archiv)
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Doppelhalter („Sandwich“) von Kundgebungen
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Audiovisuelle Materialien wie Musikkassetten, Schallplatten, VHS-Kassetten, Filmrollen/Super8, Tonbänder etc.) - diese stellen als Medienträger einen Bestand dar, der eigentlich extra besprochen werden müsste
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„Streikbier“ u. ä. Konsumgüter, die für Aktionen produziert wurden
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Schablonen, Spray-Utensilien
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Siebdruckvorlagen
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Feuerzeuge, Luftballons u.a. „Propagandaträger“ / „Werbematerialien“
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Figuren aus Pappmaché, Holz
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Holzstelen (Friedensscheune); hier Problem, die Säulen wurden bewusst aus verrottbarem Material gefertigt, es ist mindestens fraglich, ob diese dann fachgerecht konserviert werden dürften
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Samisdat-Druckmaschinen
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Zimmer- und Wohnungseinrichtungen (Schwules Museum)
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technische Geräte, z.B. Fotoausrüstungen
Hinweis: Das „Kompetenzzentrum Bestandserhaltung“ (KBE) bietet für Berlin/Brandenburg kostenlose Seminare/Weiterbildungen zu Fragen der Erhaltung und Konservierung von Fundstücken an: (http://www.zlb.de/kbe) bzw. Flyer unter: (https://www.zlb.de/fileadmin/user_upload/die_zlb/pdf/kbe/Infomaterial/Flyer_KBE_2014_web-1.pdf)
Input 1: Kristine Schmidt (Schwules Museum und Archiv):
In der Kombination aus Museum und Archiv besteht eine Besonderheit, daher kommen auch zahlreiche Objekte, meist von Besucher*innen des Museums, als Spenden an. Diese werden nur grob gesichtet und in Inventarkartons belassen, die rudimentär erfasst werden („Diverse Aufkleber, Feuerzeuge...“). Eine nach verschiedenen Materialien getrennte Lagerung wird nicht vorgenommen, lediglich Schriftgut wird davon separiert und erfasst. Bestandszusammenhänge und Provenienzen werden eher nicht verzeichnet, zumal viele Spenden anonym und disparat eingehen und gar nicht genau zuordenbar sind. Entsprechend sind Bewertungen auch schwierig und es gibt keine klaren Kriterien, wie und was gesammelt wird. Ein Archivierungsprofil besteht nicht. Es gibt (noch) keine Datenbank, einziges Findmittel ist ein Eingangsbuch. Materialien, die in Ausstellungen präsentiert wurden, werden gesondert aufbewahrt und sind entsprechend auch besser erschlossen. Die derzeit im Aufbau befindliche Datenbank (adlib) wird hoffentlich die Kommunikation zwischen Archiv und Museum erleichtern.
Input 2: Melanie Nagel (Archiv der Jugendkulturen, Museologin)
Grundlagen der Konservierung von Objekten, insbesondere von Textilien:
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Präventive Konservierung wichtig, um Schäden durch Umwelteinflüsse wie Licht, Luftfeuchtigkeit etc. schon im Vorfeld zu verhindern oder zu vermindern
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Faktor Licht: einmal Scannen (Kopieren) entspricht dem Lichteinfluss von sieben Jahren!
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Klima: Luftfeuchtigkeit ist entscheidend für Erhaltungsgrad des Materials; unterschiedliche Materialien benötigen unterschiedliche Feuchtigkeitsstufen, während Metall sehr trockene Umgebung braucht, ist diese für Textilien nicht ideal. Folglich sollten unterschiedliche Materialien auch in unterschiedlichen Räumen gelagert sein und besonders sensible (trocken zu haltende) Stoffe nicht in Arbeitsräumen gelagert werden, denn Menschen produzieren Luftfeuchtigkeit. Holz ist als Sporenträger für Schimmelpilze bekannt und bindet Feuchtigkeit, daher sind Holzregale zur Aufbewahrung auch von Papier nicht optimal.
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Schädlingsbefall: ALLE Zugänge müssen auf Schädlingsbefall und Schimmelpilze geprüft und ggf. dekontaminiert (Sauerstoffentzug) werden; häufig kann dies mit der Kooperation mit staatlichen Archiven/Museen kostengünstig erreicht werden.
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Textilien werden am besten flach, ausgebreitet in Kartons gelagert, entweder in Mappen oder separiert mit Seidenpapier (wenn mehrere Textilien übereinander in einem Karton sind)
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Leder, Häute und Felle müssen unbedingt separiert gelagert werden
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In der abschließenden Diskussion stellte sich heraus, dass die meisten unserer Archive mit Schädlingsbefall eher nichts zu tun haben, aber Schimmelpilze sind ein überall bekanntes Problem. Empfohlen wird hier die Arbeit mit Schutzausrüstung (Masken und Handschuhe sind günstig in jeder Drogerie zu haben). Bei rotem Schimmel, der stark gesundheitsschädlich ist, empfiehlt das afas, die Materialien (mit Schutzausrüstung) zu scannen und dann zu entsorgen, lediglich die Digitalisate werden archiviert. Andere Möglichkeiten einer ausreichenden Dekontamination sind wohl jenseits des Kostenrahmens unserer Einrichtungen.
AG3: Politisches Selbstverständnis der Archive
Plenum: Politisches Selbstverständnis der Archive Kurzer Problemaufriss: Jürgen Bacia (Archiv für alternatives Schrifttum)
Inputs: Archiv der sozialen Bewegungen (Hamburg), MONAliesA Frauenbibliothek Leipzig, Patrick Schwarz (apabiz Berlin), Olaf Weißbach (Robert Havemann Gesellschaft / Archiv der DDR-Opposition Berlin) Moderation: Cornelia Wenzel (Archiv der deutschen Frauenbewegung) Protokoll: Jürgen Bacia (afas)
Einführung Jürgen Bacia (afas):
Für die seit Jahren anstehende Diskussion über das politische Selbstverständnis der Freien Archive hat das afas kurz vor dem Workshop eine kleine Umfrage unter den Freien Archiven gemacht und 21 Rückmeldungen erhalten. Vor Beginn der Inputs einiger Archive und der Diskussion wurden die Ergebnisse vorgestellt; hier die sechs Fragen und die Antworten darauf:
- Versteht Ihr Eure Archivarbeit als politische Arbeit?
- 20 x ja
- 1 x nein
- Ist Archivarbeit erst dann politisch, wenn sie direkt mit politisch arbeitenden Gruppen / Initiativen in Verbindung steht?
- 1 x ja
- 3 x weder/noch
- 17 x nein
- Wer nutzt Eure Sammlungen?
- 13 x Wissenschaft (oft sind es Leute mit Bezug zu Bewegungen)
- 7 x Beide (Wissenschaft und Bewegung)
- 1 x unbekannt
- Würdet Ihr gerne mehr genutzt? (hier waren Mehrfachnennungen möglich)
- 17 x ja
- 7 x mehr Nutzung durch Bewegungsleute gewünscht
- 7 x mehr Nutzung durch Wissenschaft und Bewegungsleute gewünscht
- 1 x mehr Nutzung durch Wissenschaft gewünscht
- 7 x die Grenze der Belastbarkeit ist bereits erreicht
- Was ist Euer politisches Selbstverständnis / Euer Anspruch an Eure Arbeit?
- Geschichte der Bewegungen bewahren und zugänglich machen
- gegen hegemoniale Geschichtsschreibung angehen
- Gedächtnis der Linken / der Frauenbewegung etc. sein
- Material für gesellschaftlichen Diskurs bereitstellen
- Politische Auseinandersetzungen ermöglichen
- Kritisches Denken fördern
- Wissen für künftige Betroffene zugänglich machen
- Bewusstsein stärken, dass man was erreichen kann
- Erinnerung wachhalten
- Eigene Analysen in die Öffentlichkeit tragen
- Wie setzt Ihr dieses Selbstverständnis / diesen Anspruch um?
- durch gute Archivarbeit
- durch gute Beratung der Nutzer*innen
- durch Veranstaltungen, Veröffentlichungen, Vernetzungen
- Vertrauen erwerben bei Materialgeber*innen
- durch politische und finanzielle Unabhängigkeit
- durch Aktiv-sein in Bewegungen
- wir setzen den Anspruch schlecht um
- die Nutzer*innen müssen den Anspruch umsetzen, nicht wir!
Input des Archivs soziale Bewegungen Hamburg:
Sie sind explizit gegen Staatsknete und für Staatsferne. Sie haben den Anspruch, in aktuelle Sachen einzugreifen – allerdings gelingt das nur mäßig. Sie sind kein Archiv für soziale Bewegungen, sondern der sozialen Bewegungen. Ihr Anspruch ist es nicht, in Gremien oder Institutionen wie dem VdA mitzuarbeiten, sondern den Kapitalismus zu bekämpfen. Etwas polemisch wird darauf hingewiesen, dass etliche Freie Archive Politik machen, die zweifelhaft bzw. kritikwürdig ist. Als Beispiele werden das Freiwild-Buch von Klaus Farin, die Totalitarismus-Forschung von Wolfgang Kraushaar oder die etablierte Politik der Grünen genannt. Wir müssten uns deshalb fragen, ob unsere Archive noch Teil der Bewegungen sind.
Input der MONAliesA Frauenbibliothek Leipzig:
Bei 17 im Projekt mitarbeitenden Frauen ist es schwer, ein gemeinsames politisches Selbstverständnis zu benennen. Verbindend ist die feministische Theorie, die weiterentwickelt werden soll / muss. Das Geschlechterverhältnis muss bei allem mitgedacht werden. Sie verstehen ihre Arbeit als antikapitalistisch, nehmen aber trotzdem Staatsknete. Viele Frauen sind auch in anderen Gruppen aktiv, in denen direkter politisch gearbeitet wird, z.B. in der links-autonomen Szene.
Input Patrick Schwarz (apabiz):
Es gibt kein verschriftlichtes Selbstverständnis; dieses hat sich aus der Praxis ergeben. Thematisch haben sie natürlich einen direkten Bezug zur Antifa-Szene. Sie greifen durch Artikel und Veröffentlichungen, also durch ihre eigenen Analysen in Debatten ein. Sie wollen nicht nur Material bereitstellen, sondern auch mit den Nutzer*innen diskutieren. Sie sehen die Senatsförderung als Problem an, zu der es keine Alternative gibt. Wichtig sei es, die eigene Linie beizubehalten. Die Nähe zu den Bewegungen sei ein wenig verlorengegangen.
Input Olaf Weißbach (Archiv der DDR-Opposition):
Als Spezialarchiv bewahren sie das, was sie für sinnvoll halten. Sie wollen die Geschichte der DDR-Opposition für künftige Generationen aufbewahren und zugänglich machen (kulturelles Erbe bewahren). Sie verstehen sich somit als Teil des kollektiven Gedächtnisses. Ihnen ist wichtig, den Widerstand gegen kommunistische Diktatur zu dokumentieren. Sie sehen sich als Mutmacher, nicht als Schuldverwalter, also identitätsstiftend. Sie sehen sich in der Tradition erfolgreicher demokratischer Bewegungen in Deutschland. Die soeben eingerichtete Finanzierung durch das Land Berlin und den Bund sehen sie nicht als Problem.
Weitere Aspekte, Fragen, Problematisierungen etc., die in die Diskussion eingebracht wurden:
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Archive haben auch als Selbstzweck einen Sinn; sie müssen nicht Teil der Arbeit von politischen Gruppen sein.
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In Archiven steckt subversives Wissen, das alle, die es wollen, sich zunutze machen können.
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Ein Archiv lehnte es explizit ab, mit den Nutzer*innen zu diskutieren in dem Sinne, dass man ihnen sagt, wie die richtige Einschätzung auszusehen habe („Ich möchte auch bei einem Besuch in einem Stadtarchiv selbst entscheiden, welche Meinung ich mir bilde“).
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Die Frage, welche Rolle Archive in sozialen Auseinandersetzungen spielen können, blieb unbeantwortet. Selbst aus einem autonomen Archiv kam die Bemerkung: „wir verzweifeln ja auch manchmal an den Bewegungen“.
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Folglich ließ sich ein allgemeingültiger, politischer Anspruch Freier Archive nicht wirklich formulieren. Kleinster gemeinsamer Nenner: Archive sind das Gedächtnis der Bewegungen und haben die Aufgabe, deren Geschichte zu bewahren und zugänglich zu machen.
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Da die Freien Archive aus sehr unterschiedlichen Milieus kommen, blieb auch die Frage offen, was uns verbindet und was uns trennt. Zum Schluss tauchten zwei weitere Fragen auf:
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Welche unserer Archive sind langfristig in der Lage, die Geschichte von unten zu bewahren?
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Spiegelt der Workshop der Archive von Unten die Disparatheit der Freien Archive und der Bewegungen wider?
AG4: Digitalisierung
Input Theorieteil:Anne Glock (Digitales Archiv der TU)
Inputs Praxisteil:Andrej Terjaew und Kim Exner (Digitale Nachlässe), Roman Klarfeld und Lena Kühn (FFBIZ)
Moderation: Michael Koltan (Archiv Soziale Bewegungen Freiburg)
Protokoll: die jeweiligen Referent*innen
Input 1: Anne Glock (Digitales Archiv der TU):
Input 2: Andrej Terjaew und Kim Exner (Digitale Nachlässe):
Praxisbeispiel: elektronischer Nachlass (Laptop) Spinnboden
- suboptimale Ausgangssituation (Festplatte formatiert, Sicherung nur auf CDs)
- System nicht komplett wiederherstellbar, nur Dateien
- Konvertierung von Dateien in Formate für Langzeitarchivierung
- insbes. Konvertierung von E-Mails inklusive der Anhänge und Erhaltung der Postfächerstruktur
Mobiltelefone/ Smartphones:
- je nach Gerätealter und -zustand verschiedene Herangehensweisen (Schritte) zur Gewinnung von Daten notwendig
- allgemeine Zusammenfassung in Geräte-, SIM und Datenebene als Hilfsgerüst
Geräteebene -> Akku, Aufladekabel, Verbindungskabel Ziel: Betriebszustand, Funktionalität des Geräts herstellen Schwierigkeiten: vorliegender (unbekannter) Gerätedefekt, fehlende Auflade- und Verbindungskabel (vom jeweiligen Hersteller abhängig), Betriebszustand ohne funktionierendes Akku (nur mit Netzkabel) unmöglich, SIM-Karte für den Betriebsstart wird teilweise gefordert …
SIM-Ebene -> PIN/PUK-Nummern, SIM Format, Herstellung Netzaktivität zur Synchronisierung mit Messengerdiensten, 2FA (Zwei-Faktor-Authentifizierung) Ziel: Zugang zur Betriebsebene, Zugriff auf der SIM abgelegten Daten (Kontakte, Kurzmitteilungen), Synchronisation mit Messengerdiensten
Schwierigkeiten:
- PIN unbekannt, SIM-Kartengröße nicht passgenau (Adapter notwendig), Prepaid SIM Karten verlieren ihre Gültigkeit (vom jeweiligen Anbieter abhängig)
- Auf der SIM-Karte abgelegten Inhalte können auch über Computer ausgelesen werden (Hardware: SmartCard Reader, Software: Chipcardmaster ) oder am beliebigen Ersatzgerät
- Synchronisation mit dem PC abhängig vom Modell (nicht alle ältere Handys bieten diese Funktion an), Metadaten (Datum, Empfänger, Absender, werden nicht immer vollständig übertragen)
- Speichergröße der SIM Karte ist begrenzt 10-15 Kurzmitteilungen je 160 Zeichen pro Mitteilung
- Fehler bei Encodierung von Sonderzeichen (z.B. Smileys ) werden als Vierecke dargestellt und dienen somit als Platzhalter
Datenebene -> Verschlüsselung, Berechtigungen Zugriff, Export Nachrichten Inhalte Messengerdienste Ziel: Zugang und Export von Datenmaterial Schwierigkeiten: unterschiedliche Sicherungsmechanismen (PIN, Fingerabdruck, Verschlüsselung) Android -> bei Root-Zugriff am Smartphone lässt sich ein komplettes Abbild erstellen Im Android eingebautes Feature (Systemsicherung) ermöglich den Umzug der Daten auf ein anderes Gerät (Kontakte, Bilder, Lesezeichen, Kurzmitteilungen, Notizen) iPhone -> zum Zeitpunkt der Ausarbeitung für das Thema wenig berücksichtigt
Messengerdienste:
- auch wenn von Smartphone die App entfernt ist, lässt sich anhand von hinterbliebenen Ordnern erkennen, ob eine bestimmte App genutzt wurde, Nachinstallation und 2FA können einen Zugang ermöglichen
- Desktoplösungen für Computer bieten in besten Fall Möglichkeit für den Export
- einige Messengerdienste löschen nach bestimmter Inaktivität die Daten der Nutzerinnen und das erstellte Konto, die Einstellung wird von den Nutzerinnen selbst eingestellt (je nach App 6-12 Monate)
- Features und Einstellungen können sich mit neuen Updates der Apps ändern
- Sicherung und Wiederherstellung (Signal, Telegram, WhatsApp) haben unterschiedliche Ansätze, Bsp. Telegram:
- keine Option für Sicherung in die Anwendung eingebaut
- Nachrichten werden auf Server abgelegt, und mit den eingeloggten Geräten synchronisiert
- Telegram für Desktop bietet eine Exportfunktion ausgewählter Nachrichten samt Multimediainhalten (Bilder, Videos, Gifs, Audio) (ausgeschlossen sind geheime Chats, hier werden die Nachrichten auf den Geräten gespeichert)
Input 3: Lena Kühn, Roman Klarfeld (FFBIZ):
Roman Klarfeld stellt kurz die Breite der bisher digitalisierten Materialien im FFBIZ vor. Damit begonnen wurde bereits vor ca. zehn Jahren und umfasst die Plakatsammlung, einen Großteil der Fotos, Audios, Videos, Buttons / Sticker und in Auszügen Zeitschriften, Aktenbestände und Nachlässe. Die großen Digitalisierungsprojekte wurden in den letzten drei Jahren durch Förderungen innerhalb des Deutschen Digitalen Frauenarchivs und (https://www.digis-berlin.de/) realisiert. In diesem Zusammenhang wurden die Vor- und Nachbereitung teilweise unterschätzt. Für eine gute Planung wird die von MONAliesA erstellte Broschüre [(https://monaliesa.wordpress.com/broschuere/)] empfohlen.
Mit folgenden Problemen sah sich das FFBIZ konfrontiert:
- Es wurde aus unterschiedlichen Beständen digitalisiert und dabei der Prozess der Auswahl und der Auflistung (mit Signaturen, Dateibenennung, Metadaten) für das Digitalisierungsunternehmen unterschätzt
- Rechteklärung: dafür viel Zeit einplanen und nicht zu hohe Ziele stecken. Folgende Handreichung hilft bei der Rechtklärung: (https://ida-dachverband.de/fileadmin/REDAKTION/EINRICHTUNGEN/ida/downloads/DDF_Rechtebroschuere_WEB.pdf)
- Überlegen wie die Digitalisate in die Datenbank integriert werden können
- Speicherung: bleibt ein Dauerthema. Im FFBIZ werden zur Zeit die Daten auf einem NAS, einer externen Festplatte im Magazin und einer externen Festplatte außer Haus gesichert
- Langzeitarchivierung: bleibt ein offener Punkt
Lena Kühn stellt das Digitalisierungsprojekt „Dissonanzen“ vor. Das Projekt wurde 2018 durch digiS gefördert. Es wurden 136 Audiokassetten an einen externen Dienstleister (avantmedia) gegeben und als .wav und .mp3-Dateien digitalisiert. Die inhaltliche Erschließung hat Marion Fabian durchgeführt, anschließend hat Lena diese Daten in FAUST übertragen und Kürzungen bzw. Korrekturen, wenn notwendig, durchgeführt. Rechtlich wurden wir von iRights beraten. Laut Herrn Klimpel von iRights sind Radiosendungen keine Werke, weshalb nur ein Vertrag mit der Hersteller*in des Tonträgers (Tonträgerherstellergesetz) erstellt werden muss. Wir teilen diese Einschätzung nicht, haben mit Marion Fabian aber eine Person gefunden, die der Onlinestellung zustimmt. Der Vertrag wurde mit Hilfe des i.d.a.-Vertragsgenerators erstellt: (http://www.ida-dachverband.de/ddf/vertragsgenerator/)
Mit der GEMA konnte innerhalb der Projektlaufzeit keine Einigung erzielt werden, weshalb wir die Musik entfernt haben. Zum Audioschnitt empfehlen wir die Freeware „Audacity“. Sollte es in Zukunft die Möglichkeit geben auch die Musik online zu stellen, werden wir die Audiodateien austauschen. Die einzelnen Musiksendungen werden bei uns in der FAUST-Datenbank erschlossen und im Anschluss gemeinsam mit den Digitalisaten an das Deutsche Digitale Frauenarchiv und die DDB geliefert.
Abschlussplenum
Protokoll: Daniel Schneider (Archiv der Jugendkulturen)
-Den Workshop Freitag & Samstag stattfinden zu lassen hat sich als nicht so gute Idee herausgestellt, da viele Teilnehmer*innen samstags doch nicht dabei sein konnten. Deshalb wurde beschlossen, den Workshop doch wieder Donnerstag und Freitag zu machen, der nächste Termin ist deshalb der 11. & 12.6.2020.
-Der Ort muss noch festgelegt werden, es soll mal im Mehringhof gefragt werden, auch das Bethanien wurde ins Spiel gebracht. Es ist unwahrscheinlich, dass der Seminarraum des AdJ im kommenden Jahr noch nutzbar ist (auch wenn der Termin des Abrisses weiterhin nicht feststeht).
-Es soll ein offeneres Format ausprobiert werden, zumindest an einem der beiden Workshoptage („Open Space“, ähnlich wie ein Barcamp).
-Themenwünsche für den kommenden Workshop: Datenbanken, z.B. Open SourceDatenbanken, Kosten von Datenbanken; praktische Themen, die einen direkten Bezug zur alltäglichen Arbeit haben (z.B. Erfassung von Objekten, Umgang mit Dubletten, welche Ansprechpartner*innen gibt es bei bestimmten Fragen); Fortsetzung der Selbstverständnis-Debatte, z.B. in Hinblick auf den Umgang mit der Wissenschaft, Erfahrung mit Interventionen, Alternativen zur Staatsknete